Malerei hinter Glas 1993 Chiesa San Staë, Venedig  Acryl hinter Glas 330 x 240 cm
Grosses Violett mit zwei Quadraten 1994 Acryl hinter Glas 203 x 346 cm
Farbenkoffer (bunt) 1989 Diakoffer (Metall), Glas, Acrylfarbe 6 x 37 x 19,5 cm, geöffnet 22,5 x 37 x 19,5 cm
Couleurs possibles 1995 Môtiers Doppelglasscheiben, ausgeschwenkt mit Polyesterfarbe (46 Teile) Masse variabel
Grosse gelbe Wand 1996 Kunstmuseum Bonn Acryl hinter Glas (20 Teile) 515 x 840 cm
Malerei 1
Mit rotgrünem Quadrat 1994   Kunstmuseum Luzern   Acryl hinter Glas (43 Teile) 300 x 1200 cm
Inversion in Gelb 2002   Autolack hinter Glas Durchmesser 62 cm   Auflage 5
Dem Tafelbild im Innenraum entspricht die gelbe Glaskugel im Aussenraum, die Inversion in Gelb. Mit ihr setzt Rütimann das Gemälde in die Landschaft und bringt die Landschaft ins Bild. Die inwendig bemalte Glaskugel ist weder auf eine Wand noch auf eine Hängevorrichtung angewiesen. Sie wird frei in die Landschaft gesetzt. Farbe und Spiegelung bespielen ihre Aussenhaut, Schatten wandern über sie und Reflexionen des Sonnenlichts blitzen auf. In der Dämmerung treten die Konturen der Umgebung besonders deutlich in der Spiegelung hervor. Die Kugel nimmt ihre Umgebung in der Totalen auf und wandelt im Verlaufe des Tages ihr Erscheinungsbild.
INVERSION IN GELB
MÖGLICHE FARBEN
In Zürich baute Rütimann im Kunsthof ein Gerüst auf, auf dem er die Tafeln als Hoch- und Querformate in zwei Reihen anbrachte. Wie bunte Fassadenelemente oder farbig hinterleuchtete Fenster schoben sich die Tafeln vor die hintere Häuserzeile und belebten die Lücke zwischen zwei Gebäuden. In Zürich wie auch in Môtiers hatte Rütimann ein Depot eingerichtet, das zur Präsentation gehörte. Glastafeln in diversen Farben und Formaten lehnten an der Hauswand der Trafostation beziehungsweise an der Mauer des Kunsthofs. Sie legten nahe, dass sich die Tafeln jederzeit austauschen liessen. Darauf spielen auch die Werktitel Mögliche Farben oder Couleurs possibles an.
Mögliche Farben 1996 Kunsthof Zürich Doppelglasscheiben, beidseitige Hinterglasmalerei mit Acryl (72 Teile)
Rote Wand mit zwei grünen Quadraten  2007  Kunstmuseum Bonn   Acryl hinter Glas 450 x 840cm
© 2013 Christoph Rütimann
Christoph Rütimann
© 2013 Christoph Rütimann
Chi ha detto che il giallo non è bello 1983  Fotografie, hinter Glas gerahmt (35 Teile)  Auflage 3
Im Jahr 1983 lief Christoph Rütimann der Grenze zwischen einem Rapsfeld und einem Acker entlang auf einen Wald zu. Dabei warf er seine Kamera in die Luft, fing sie wieder auf und schleuderte sie erneut himmelwärts – immer höher. Er hatte den Selbstauslöser betätigt, so dass die Kamera von jedem Flug durch die Luft eine Aufnahme lieferte. An welchem Punkt der Wurfbahn sie auslöste, musste er dem Zufall überlassen. Bereits zuvor hatte der Künstler mit der bewegten Kamera experimentiert. In der Umgebung von Rom liess er sie 1979 in einem Bus an der Gepäckablage baumeln. 1982 fotografierte er in der Poebene aus einem fahrenden Zug hinaus. Die Bewegung schrieb sich den Bildern ein, hinterliess Wischspuren, wie man sie von Sportaufnahmen her kennt. Rütimann gab jeweils die Versuchsanlage vor, die Bildgestaltung liess sich jedoch nicht im Detail kontrollieren. Sechs Jahre nach der Aktion im Rapsfeld zeigte Rütimann die vergrösserten Aufnahmen in der Mai 36 Galerie in Luzern. Er hängte sie in der Reihenfolge ihrer Entstehung zum Bildblock Chi ha detto che il giallo non è bello. Das erste Bild entspricht der Ausgangssituation: Das Blau des weiten Himmels nimmt die obere Bildhälfte ein. Unter einem schmalen dunkelgrünen Waldstreifen stösst das Braun des Ackers auf das Gelb des Rapsfeldes. Bei den nachfolgenden Aufnahmen verliert sich die Landschaft in der Unschärfe, der Horizont rutscht weg, die Farbverhältnisse mischen sich neu. Blau dominiert; Wischspuren aus Gelb, Grün und Braun ziehen sich übers Bild, als hätte sie jemand mit einem breiten Pinsel aufgetragen. In seiner Ausstellungsbesprechung schrieb Niklaus Oberholzer 1989: «Die ganze Wand wirkt, als hätte da jemand mit diesen intensiv farbigen – blauen, gelben, grünen – Elementen gemalt.»1 Auch Rütimann ist sich der Nähe zur Malerei bewusst. Er vergleicht die Landschaft mit einer Palette, die ihm die Farben bereitstellte, und den Fotoapparat mit einem Pinsel, der diese neu mischte: «Ich liess die Kamera Bilder malen.» Als er die Aktion im Rapsfeld durchführte, nahm er selbst noch keinen Pinsel zur Hand. Die Fotoarbeit wird als seine «erste intensive und klare Thematisierung von Malerei» verstanden.2 Sie nimmt einiges der Hinterglasmalereien vorweg: die Farbe und das Material, denn die Fotografien wurden 1989 in der Mai 36 Galerie hinter Glas präsentiert. «Die Spiegelung war ein wunderbarer Zufall», sagt Rütimann, «sie lieferte die Idee zur Hinterglasmalerei.»
Und so erstaunt es kaum, dass der Künstler im selben Jahr, als er die Fotoarbeit erstmals ausstellte, auch seine ersten Hinterglasmalereien in Angriff nahm.3 Selbst der Titel Chi ha detto che il giallo non è bello bezieht sich auf ein Stück Malerei. Rütimann wählte ihn in Anlehnung an das Gemälde Who’s afraid of Red, Yellow and Blue von Barnett Newman. Wie Newman kehrt auch er den emotionalen Aspekt der Farbe hervor, indem er fragt: «Wer hat gesagt, dass Gelb nicht schön ist.» Das ist durchaus als persönliches Bekenntnis zur Farbe Gelb zu verstehen. Gelb lockte den Künstler ins Rapsfeld, und Gelb leuchtet später von seinen Hinterglasmalereien.

1 Niklaus Oberholzer, in: Vaterland 1989
2 Christoph Schenker, in: Glattzentrum 1994, S. 4

MALEREI An der Biennale von Venedig baute Christoph Rütimann 1993 in der Kirche San Staë eine schiefe Ebene ein und kombinierte sie mit zwei Hinterglasmalereien.1 Die grossen, schweren Glastafeln waren im Kirchenschiff direkt auf den Boden gestellt und an die ersten beiden Säulenpostamente gelehnt. Sie strahlten in Gelb, erschienen als reine Farbflächen – entmaterialisiert und schwerelos. In der Spiegelung nahmen sie die Umgebung in sich auf, zeigten den barocken Innenraum, Putten und Butzenscheiben unter gelbem Schleier. Farbe und Spiegelung umspielten sich auf der Oberfläche und veränderten ihre Intensität je nach Lichteinfall, Blickwinkel und Standort des Betrachters. Mit ihren Massen waren die beiden Hinterglasmalereien auf die Gemälde in den dahinterliegenden Altarnischen abgestimmt, auf denen die Darstellung des Lichts und die Lichtführung eine zentrale Rolle spielen. In einem Interview hob Rütimann den Unterschied hervor: «Ich überlasse der Farbe fast alle Aufgaben, die der Künstler einst ausführen musste – die Aufnahme und die umgeformte Wiedergabe des Lichtes und sogar das Abbilden der Wirklichkeit.»2 Der Blick des Betrachters fällt auf eine spiegelglatte Oberfläche, die Gestus und Materialität hinter sich verschwinden lässt zugunsten der reinen Wirkung der Farbe. Ganz anders präsentiert sich die malerisch bewegte Rückseite. Sie ist der Säule zugekehrt und kaum einsehbar. Rütimann hat darauf die Farbe in mehreren Schichten aufgetragen. Er spricht von «rückwärts malen». Denn was der Betrachter durch das Glas hindurch sieht, ist der erste, bereits deckende Farbauftrag. Mit jeder weiteren Farbschicht entfernt sich der Künstler vom Endresultat und schafft auf der Rückseite ein vielschichtiges monochromes Gemälde. Rütimann bevorzugt die Farbe Gelb. Sie fällt bereits im Frühwerk auf, als er noch nicht zum Pinsel griff. Die Fotoarbeit Chi ha detto che il giallo non è bello entsteht am Rande eines blühendes Rapsfeldes.3 Auch bei den Hinterglasmalereien ist Gelb die wichtigste Farbe auf der Palette. Gelb sind der Glaszacken zur Polarlinie von 1989, die zwölf Hinterglasmalereien 1994 im Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen, und die Inversion in Gelb von 2002, um einige Beispiele zu nennen. Gelbe Wände entstanden 1992 in Genua, 1996 in Poschiavo und in Bonn. Dabei lehnte der Künstler nicht nur einzelne Tafeln an die Wand, sondern stellte sie zu raumgreifenden Malerei-Installationen zusammen. Im Kunstmuseum Bonn deckte Rütimann
mit rechteckigen Glastafeln unterschiedlichen Formats eine Wand desAusstellungssaals ab. Die einzelnen Tafeln wiesen differenzierte Gelbtöne auf, die von Hellgelb über Zitronengelb ins Grün tendierten. Rütimann hatte sie rückseitig mit demselben Farbton bemalt, jedoch dickere und dünnere Gläser verwendet, so dass sich das Gelb mit dem unterschiedlich ausgeprägten Grünstich des Fensterglases mischte. Der Ausstellungsbesucher trat in ein Farbereignis ein. Mitsamt dem Umraum wurde er in das Gelb hineingespiegelt, während dieses in den Raum zurückstrahlte. Der Gelben Wand gegenüber war das Grosse Violett mit zwei Quadraten plaziert, Hinterglasmalereien in den Komplementärfarben. Gelb ist keineswegs Rütimanns einzige Farbe, doch sie dient ihm als Einstieg in die Buntheit, so wie anderen Weiss, Schwarz oder Grau, die in seiner Malerei nicht vorkommen. Gelb sei unserer Erfahrung des Lichts am nächsten, sagt Rütimann. Er habe in seiner Malerei einen bunten, emotionalen Ansatz gesucht. Das belegen insbesondere Mögliche Farben von 1995/96 im Aussenraum und die Installation Mit rotgrünem Quadrat von 1994 im Innenraum. Für letztere Arbeit hatte der Künstler beim Glaser Restflächen geholt, diese rückseitig bemalt und vor Ort im Kunstmuseum Luzern zusammengestellt. Über die gesamte Raumbreite verteilten sich farbige Scheiben und Bruchstücke. Sie bildeten eine unregelmässige Horizontlinie: spitz, zackig, kantig, gekurvt. Unvermittelt trafen Gelb, Orange, Rot, Violett, Hell- und Dunkelgrün, Hell- und Dunkelblau aufeinander. In der Mitte ruhte das titelgebende rotgrüne Quadrat – ein Gruss an Camille Graeser, einen Vertreter der Zürcher Konkreten, der immer wieder komplementäre Farbpaare ins Quadrat setzte. Die Arbeit wirke wie «die sinnlichunmittelbar gewordene These von der jedes Konzept sprengenden Wirkkraft der Farbe», schreibt Heinz Liesbrock.4 1 Siehe Schiefe Ebenen, S. 129 2 Christoph Rütimann, zit. nach: «‹Möglichst vieles frei schwebend lassen›. Ein Gespräch zwischen Christoph Rütimann und Heinz Liesbrock», in: Münster 1995, S. 51 3 Siehe Chi ha detto che il giallo non è bello, S. 45 4 Heinz Liesbrock: «Das Gewicht der Farbe. Christoph Rütimanns Malerei», in: Bonn 1996, S. 70
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